Das sogenannte Schöne

Herbert W. Franke

Is the Golden Ratio Really the Most Beautiful Proportion? from the Wolfram Demonstrations Project by Herbert W. Franke

Es ist bekannt, dass zwischen Kunst und Mathematik besondere Beziehungen bestehen. Solche finden sich beispielsweise in der Musik: Die gebräuchlichen Tonleitern sind nach ganzzahligen Frequenzen geordnet, wodurch sich harmonische Zusammenklänge ergeben. Etwas Vergleichbares gibt es in der Bildenden Kunst: In vielen Bildern und Skulpturen wie auch in der Architektur treten oft Proportionen des ‚Goldenen Schnitts' auf. Dieses Verhältnis - 1 : 1,6185... - erweckt den Eindruck einer gut ausgewogenen gegenseitigen Abstimmung von Längenmaßen, bringt also gewissermaßen das ‚schönste' Rechteck hervor. Erfahrungen dieser Art lassen die Vermutung zu, dass manche mathematischen Größen etwas mit Schönheit zu tun haben. Und das wieder könnte daran liegen, dass sich das menschliche Gehirn bei der Verarbeitung der Reizmuster auf mathematische Zusammenhänge stützt, die es in diesen erkennen kann. Das hilft dabei, die dahintersteckende Bedeutung zu erkennen. Und genau diese gelingenden Wahrnehmungsprozesse sind es, die den Eindruck der Schönheit hervorrufen. Diese Andeutungen genügen noch nicht, um die recht komplizierten Vorgänge zu erklären, die hinter dem Phänomen Kunst stecken. Doch die mit den folgenden ästhetischen Experimenten gewonnenen Erfahrungen bedürfen nur noch einiger Ergänzungen, um das zu verstehen, was Kunst ist und wie sie in unserer Kultur entstanden ist. Vermutlich wirkt es ein wenig überraschend, wenn ich nun behaupte, dass das Programmiersystem Mathematica dazu beitragen kann, dieses Problem zu lösen. Deshalb kann ich auf langwierige theoretische Erklärungen verzichten, sondern will auf einige Methoden der Computergrafik eingehen, die zu ästhetisch beachtlichen Bildern führen. Als Basis solcher Versuche eignen sich bestimmte Eigenschaften grafischer Darstellungen, die sich mathematisch beschreiben lassen. Und damit ist auch schon eine Verbindung zwischen dem sogenannten Schönen und dem Computer hergestellt, denn diese Art mathematischer Strukturen lässt sich mit Hilfe der Programmiersprachen sehr leicht beschreiben und auf dem Bildschirm darstellen. Und das führt nicht nur zu Erfahrungen über künstlerische Prozesse, sondern macht überdies Vergnügen. Digitale Publikationen, interaktives Lernen Zur Illustration werde ich Bilder verwenden, die der Leser selbst erzeugen kann. So wird dieser Beitrag zusätzlich zur Demonstration einer neuen Art von Wissensvermittlung. Ein großer Teil der wissenschaftlichen Publikationen ist heute noch der Methode der mittelalterlichen Schriftgelehrten angepasst, die Erkenntnisse aus dem Studium von Büchern zu gewinnen versuchten - wozu Zitate in Form von Textauszügen das geeignete Medium sind. Der Tatsache, dass sich in Wissenschaft und Technik die Inhalte weitaus besser visuell darstellen lassen als verbal, wird bei Veröffentlichungen viel wenig entsprochen, was nicht nur auf die beschränkten Mittel der althergebrachten Drucktechnik zurückzuführen ist, sondern auch auf überlieferte Gewohnheiten. Durch den Einsatz digitaler Methoden lässt sich nun die visuelle Wissensvermittlung beträchtlich erleichtern und verbilligen. Ich will nun kurz beschreiben, wie es zur Einführung der neuen digitalen Methoden gekommen ist, die meiner Meinung nach bald die klassische Drucktechnik ersetzen wird, und wie man damit umgeht. Kurze Beschreibung des Demonstrationsprojekts von Stephen Wolfram mit Anweisungen zum Gebrauch. Der ‚Goldene Schnitt' Es geht um einen der wenigen Fälle im Bereich der Kunsttheorie, wo konkrete Zahlen auftreten - nämlich um den Goldenen Schnitt. Damit verbunden ist allerdings eine Frage: Was ist die Ursache dieser Beziehung? Denn die naturwissenschaftliche Denkweise begnügt sich nicht mit der Bestandaufnahme, sondern stellt die Frage nach den Gründen: Welche Erklärungen gibt es für das Auftreten einer solch merkwürdigen Zahlenbeziehung? Zur Vorbereitung einer möglichen Lösung wird nun ein Experiment beschrieben, wie es für die ‚Experimentelle ästhetik' typisch ist. Die Basis dieses Versuchs ist der Vergleich einiger anderen, in der öffentlichkeit oft auftretenden Proportionen (beispielsweise jene des DIN-Systems), mit dem Goldenen Schnitt. Demo - Anweisungen zum Gebrauch Bemerkung zur Auswertung: Für eine wissenschaftlich relevante Auswertung wären die Werte einer größeren Zahl von Versuchspersonen nötig, die bisher nicht zur Verfügung standen. Die Werte einzelner Teilnehmer sind aber im Sinn eines Selbstversuchs von privatem Interesse. Symmetrie Eine der bekanntesten mathematisch beschreibbaren Eigenschaften ist die Symmetrie. Die drei Bilder sind Beispiele der sogenannten bilateralen Symmetrie, der Spiegelung an einer Achse. Das Kennzeichen dafür ist die (in den folgenden Grafiken senkrechte) Gerade, die das Bild in zwei geometrisch gleiche Hälften teilt. Demo Das ist ein einfaches Beispiel für bilaterale Symmetrie. Der Leser kann das oben angegebene Schaltfeld anklicken, um einen Bildgenerator zu erhalten, der eine Vielfalt von bilateralen Linienkonfigurationen ausgibt. Mit dieser Art der Symmetrie sind wir alle vertraut - unter anderem finden wir sie häufig in der Natur, beispielsweise bei Blüten und Blättern von Pflanzen oder bei höher entwickelten Tieren, aber schon in der Antike spielte sie eine Rolle in der Kunst, insbesondere bei Ornamenten. Ein klassisches Beispiel ist auch die idealisierte Darstellung des menschlichen Gesichts.