Die merkwürdige Kunst der Mathematiker

Herbert W. Franke


Es begann damit, daß Mathematiker ihre Computergrafiksysteme eingesetzten, um das, was ihre Formeln ausdrücken, zu visualisieren. Gewiß brachte man auch schon früher algebraische Kurven und geometrische Figuren zu Papier, aber aus verständlichen Gründen begnügte man sich mit einfachsten Gebilden - Geraden, Kreisen, Rechtecken... Alles andere wäre zu mühsam gewesen. Die offensichtliche Leichtigkeit, mit der der Computer umständliche Rechenarbeit bewältigt, verleitete dazu, ihm immer kompliziertere Aufgaben zu stellen, einfach aus Neugierde heraus, was dabei zum Vorschein käme. Und es kam einiges zum Vorschein.

Mathematische Zusammenhänge werden sichtbar, Aussagen von Formeln, die sich analytisch nur schwer herauskitzeln lassen, liegen offen vor Augen. Das ist die eine, die kognitive Seite. Man könnte viel darüber sagen, etwa über die pädagogischen Aspekte, über das bessere Verständnis: den "Königsweg zur Mathematik ", der sich damit öffnet. Für manche mathematischen Disziplinen bedeutete das gerade zu den Durchbruch, beispielsweise bei den Fraktalen. Es gibt aber noch eine andere Seite, jene der Kunst.

Damit greife ich den Dingen schon gehörig voraus, denn zunächst ist noch keineswegs klar, ob das, was sich da angedeutet, als Kunst gelten darf. Und es geht mir eigentlich auch nicht darum, den Kunstanspruch zu stellen, was wie immer in solchen Fällen zu endlosen Diskussionen führen würde. Es geht eher darum, auf etwas höchst Merkwürdiges und Beachtenswertes hinzuweisen. Im allgemeinen ist es recht schwierig, eine größere Zahl von Leuten dazu zu bringen, eine neue Aktivität zu beginnen, etwas zu tun, was nicht wenig Zeit und Mühe kostet - und das ohne Förderung und Honorar. Die Faszination der mathematischen Bilder ist so groß, daß diese Hürde übersprungen wird, die Beschäftigung mit mathematisch-ästhetischen Experimenten ist zu einer weltweiten Bewegung geworden. Dieser Fall ist auch ein schönes Beispiel für die positive Seite des Internet, nämlich die von ihm gebotene Möglichkeit der Kommunikation von kleinsten Interessengruppen mit einem sehr speziellen Hobby über alle Grenzen hinaus. Wenn man im Web auf die Suche geht, stößt man geradezu auf eine Flut von Adressen. Die weitaus größte Gruppe widmet sich den Fraktalen, man entdeckt aber auch andere Themenbereiche, die man zunächst kaum unter einem gemeinsamen Aspekt sehen würde, die aber zweifellos dazugehören. Bei meiner Suche bin ich beispielsweise auf eine Gruppe von Leuten aufmerksam geworden, die sich mit arabischen Ornamenten beschäftigen und diese mit mathamatischen Mitteln zu beschreiben versuchen, und auf eine andere, die sich dem Spiel des "Abnehmens" verschrieben hat und das Geschütz der Knotentheorie auffährt, um es theoretisch zu erfassen. Unter den Protagonisten sind Universitätsprofessoren ebenso wie interessierte Laien, wissenschaftliche Institute ebenso wie Schüler und Studenten. Einige davon geben Publikationen heraus, doch die hohen Kosten der Herstellung und des Versands machen die Sache schwierig. Sicher gibt es mehrere davon, doch ist ihr Bekanntheitsgrad gering. Ich nenne zwei von privater Seite herausgegebene Zeitschriften dieser Art, und zwar " Fraktalia" aus Rumänien und "The Fractal Translight Newsletter" aus den USA. Den inhaltlichen Schwerpunkt bilden in beiden Fällen Computerprogramme - weil das, was hier im Entstehen begriffen ist, ohne Computer eben nicht möglich wäre.

Mein Beitrag hat vor allem den Sinn, auf dieses Phänomen aufmerksam zu machen und jenen Einzelkämpfern, die sich von ähnlichen Interessen leiten lassen, den Kontakt zu Gesinnungsgenossen zu erleichtern. Im Anhang gebe ich deshalb einige Internetadressen an, muß allerdings darauf aufmerksam machen, daß ich nicht alle Angaben prüfen konnte. In diesem Bereich vollzieht sich ein steter Wandel, so daß in kürzester Zeit manches verschwindet und anderes wieder auftaucht. Doch wer einmal mit einer Recherche beginnt, findet rasch viele Wege, um ins Zentrum seiner Wünsche zu kommen.

Und damit könnte ich es eigentlich genug sein lassen, doch das Problem, in welche Kategorie die geschilderte Aktivität eigentlich einzuordnen ist, läßt mich nicht los, und daher will ich für jene, die sich mit mir auf den schlüpfrigen Boden von Kunstdiskussionen wagen wollen, einige Gedanken anfügen.

Eigentlich begann die Debatte schon viel früher - lange bevor es Computer gab. Man könnte bei den alten Griechen anfangen, bei den harmonischen Verhältnissen und beim Goldenen Schnitt. Dabei geht es um ästhetische Ordnungen, und solche finden sich sicher auch bei vielen mathematischen Visualisierungen. Die auf den Informationsbegriff gestützte rationale Kunsttheorie bietet sogar Erklärungen für den ästhetischen Eindruck solcher Gebilde an. Das ist also nicht das Problem. Mich erinnert die Frage eher an die Diskussion über Ernst Haeckels "Kunstformen der Natur " ( - so hat er sein bekanntestes Werk genannt, das im übrigen 1998 vom Prestel-Verlag, München, als Faksimile wiederherausgebracht wurde). Als der schon damals weithin angesehene Biologe Gehäuse von Kieselalgen und Stacheltieren, die er im Mikroskop gesehen hatte, in Zeichnungen festhielt - Mikrofotografie war damals noch unbekannt - , zweifelte man an der Wiedergabetreue und hielt die Formen für Ausgeburten seiner Phantasie. Zu heftigen Diskussionen kam es allerdings erst dann, als er die von ihm entdeckten Formen als "Kunstformen" bezeichnete. Wenn man den Begriff Kunst auf von Menschen gemachte Objekte beschränkt, dann ist der Titel seines berühmten Bildbandes eine Provokation (heute würde man sagen: ein Gag, der Interesse erwecken soll). Aber auch den Schöpfer der Zeichnungen, Ernst Haeckel, kann man offenbar nicht als Künstler bezeichnen, denn er hat diese Formen nicht erfunden, sondern lediglich wiedergegeben. Eine ähnliche Diskussion entbrannte später über die Fotografie, weil der Fotograf (mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen) ja auch nur existierende Dinge in Bildern festhält und nicht selbst entwirft.

Hier besteht offensichtlich eine Entsprechung zur aktuellen Situation - zu den Bildern aus dem Computer. Aber der Vergleich hinkt, denn jene, die sich mit der Visualisierung von Mathematik beschäftigen, geben keine Naturformen wieder, sondern solche der Mathematik, also etwas von Menschen Stammendes. Ist das überhaupt richtig? - die Meinungen gehen auseinander, denn die mathematischen Zusammenhänge, um die es geht, sind ja durch übergeordnete logische Gesetze festgelegt, und somit kann der Mensch nicht ihr Schöpfer sein. Andererseits ist sicher Kreativität beteiligt, und zwar bei Erkennen des mathematischen Problems und bei der Methode zu seiner Lösung - aber dazu braucht man kognitive Kreativität und keine gestalterische.

Als eine Gruppe von Bremer Mathematikern von einem Studienaufenthalt an der Universität von Utah die ersten mit modernen Computergrafiksystemen erzeugten Fraktale mitgebracht hatte, besuchte mich der Leiter des Teams Heinz-Otto Peitgen und erkundigte sich nach meinen Erfahrungen mit solchen Bildern. Wir waren uns darüber einig, daß sie ohne ästhetische Entscheidungen des Mathematikers gar nicht visualisiert werden können, denn er bestimmt die Darstellungsweise, den Ausschnitt, die Farben und so fort. Hier ist es ähnlich wie bei der Fotografie, und damit - so sagte ich voraus - würde am Beispiel der Fraktale die Diskussion von Neuem beginnen. Und das ist ja auch geschehen: Die Bremer Gruppe brachte ihre Werke unter dem Titel MapArt an die Öffentlichkeit und löste damit nicht nur Zustimmung, sondern auch Widerspruch aus.

Heinz-Otto Peigen nützt zwar alle Möglichkeiten einer eindrucksvollen Darstellung, die die Computergrafik bietet, aber der Hauptzwecke bleibt die Wiedergabe mathematischer Zusammenhänge. Aber es geht ja auch anders - das hat die seit 1965 existierende Computerkunst bewiesen. Wer sie praktiziert, setzt die mathematischen Beschreibung normalerweise als eine Art grafischer Notenschrift ein. Sie hilft ihm dabei, Bilder nach seinen eigenen Ideen zu komponieren, wenn auch auf einem unkonventionellem Weg, ohne den Einsatz manueller Mittel. Das hat nichts mehr mit der grafischen Erfassung mathematischer Formeln zu tun, und was dabei herauskommt, muß keinen mathematischen Sinn haben, aber es ist doch bemerkenswert - aus dem ästhetischen Aspekt heraus. Wäre es mit der Hand produziert, könnte man es ohne weiteres als Kunstwerk bezeichnen.

Damit schließe ich meinen Exkurs ab, er sollte lediglich eine kurze Anregung dazu sein, über die Hintergründe dessen nachzudenken, was wir heute in Form mathematisch beschriebener Bilder vorfinden. Doch niemand ist gezwungen, sich mit solchen Überlegungen aufzuhalten - es ist sicher weitaus vergnüglicher, gleich mit mathematischen Kompositionsexperimenten zu beginnen, unbeeinflußt davon, wie man das, was dabei entsteht, bezeichnet.


Zeitschriften

Roger L. Bagula: The Fractal Translight Newsletter, USA, 11759 Waterhill Road, Lakeside, CA 92040

Marius-F. Danca: Fractalia, P.O.Box 524, Cluj 9, Rumänien, e-mail: mdanca@bavaria.utcluj.ro


Internet-Adressen


Art Baker: Fractal Images - http://www.rainorg:80~ayb/

Alan Beck: Virtuel Mirror - http://sashimi.wwa.com:80/mirror/gallerie/fracgali/fg941101.htm

Andy Burbanks: Lyapunov Pictures - http://info.Iboro.ac.uk/departments/ma/Gallery/lyap/index.html

Robert W. Ghrist: http://www.math.utexas.edu/MatGal9.html

Stewart Dickson: 3d Fractals - http://www.wri.com/~mathart/portfolio/SPD_Frac_portfolio.html

Geometry Center at University of Minnesota - http://www.geom.umn.edu/pix/archive/subjects/fractals.htlm

Herbert W. Franke: http://www.zi.biologie.uni-muenchen.de/ ~franke/kunst3.htm

Javier S. Gonzales: Islamic Rectilinear Interlaced Lattices - httw://www.anglia.ac.uk/troshford/puertra4/index.html

Ryan Grant: Favourite Fractals - http://ncsa.uiuc.edu/SDG/People/rgrant/fav_pics.html

Noel Giffin: The Spanky Fractal Database - http://spanky.triumf.ca/www/spanky.html

Brian N. Hershey: SineArt Offering - http://members.aol.com/BNHershey/sineart.htm

International String Figure Association: http://members.iquest.net/webweavers/isfa.htm

David. E. Joyce: Mandelbrot and Julia sets - http://aleph0.clarku.edu/~djoyce/home.html

Pascal Massimino: Quaternion Julia Set - http://acacia.ens.fr8080/home/massimin/quat/quat.ang.html

o.N.: ANU Images - http://acat.anu.edu.au/works/gallery.html

o.N.: Computer Graphics Gallery - http://www.mathe.tcd.ie/pub/images/images.htlm

o.N.: Contours of the Mind - http://acat.anu.edu.au/contous.html

o.N.: Dalhousie University Fractal Gallery - http://is.dal.ca:3400/~adiggins/fractal/

o.N.: Fractal Commander Gallery - http://www.geocities.com/SoHo/Lofts/5601/gallery.htm

o.N.: Fractal Gallery - http://irc.umbc.edu/gallery/Fractals/grindex.html

o.N.: Fractal Microscope - http://www.ncsa.uiuc.edu/Edu/Fractal/Fractal_Home.htlm

o.N.: Gratuitous Fractals - http://www.vanderbilt.edu/VUCC/Misc/Art1/fractals.html

o.N.: San Francisco Fractal Factory - http://awa.com/sfff/sfff.html

o.N.: SHIKA Fractal Image Library - http://wwfs.aist-nara.ac.jp/shika/library/fractal/

o.N.: Soft Source - http://www.softsource.com/softsource/fractal.html

o.N.: Stanford University Pointers - http://akebono.stanford.edu/yahoo/Art/Computer_Generated/Fractals/

o.N.: Xmorphia - http://www.ccsf.caltech.edu/ismap/image.html

J. C. Sprott: Fractal Gallery - http:/sprott.physics.wisc.edu/fractals.htm

Fa. Wolfram Research: Computergraphics-Gallery - http://www.graphica.com/artists

Frank Rousell: Fractal Gallery - http://www.cnam.fr/fractals.html

Giuseppe Zito: Algorithmic Image Gallery - http://www.ba.Infn.it/~zito/dagal/dagal.html


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Copyright H.W. Franke 1998