Ordnungsbeziehungen wie die Symmetrie haben große
Bedeutung in Kunst und Design. In meinem Buch ‚Kunst
und Konstruktion‘, das 1957 erschien, wies ich darauf
hin, dass speziell in der bildenden Kunst neben der
Symmetrie noch eine andere Ordnungsbeziehung eine Rolle
spielt, die ebenso wie diese mathematisch erfassbar ist,
nämlich die sogenannte ‚Stetigkeit‘. Sie
bezieht sich insbesondere auf Linien und Kurven und
äußert sich vor allem in deren Gleichmaß:
Stetige Kurven haben einen glatten Verlauf, ein
Gleichmaß ohne Unterbrechungen, Knicke oder
plötzliche Richtungsänderungen. Ich versuchte
diese Eigenschaft damals als ‚Eleganz‘ der
Linienführung zu beschreiben. Das hätte ich lieber
nicht tun sollen, denn ein Kritiker riet mir, die Eleganz
den Schneidern zu überlassen. Meine Einschätzung
der Stetigkeit war damals Ergebnis eigener Beobachtungen,
und als Physiker versuchte ich, sie durch Experimente zu
erhärten. Ich benutzte mechanische, optische und
elektronische Systeme, um Bilder aus stetigen Kurven
aufzubauen, und die Tatsache, dass sie in Kunstzeitschriften
und -ausstellungen gezeigt wurden, nahm ich als
Bestätigung meiner Ansicht. Das Thema der Stetigkeit
hat mich auch weiterhin beschäftigt, und ich habe es
kürzlich wieder aufgegriffen, weil man inzwischen auch
Erklärungen für die ästhetische Wirkung
solcher Gebilde angeben kann. Das liegt besonders in der
Informationspsychologie, mit der sich zeigen lässt,
dass Ordnungen wie Symmetrie und Stetigkeit unabhängig
von der Kunst die visuelle Wahrnehmung - den
Übersichtsgewinn über den Bildeindruck -
erleichtern und beschleunigen. Es ist eine Fähigkeit,
die sich durch die Evolution herausgebildet hat und schon in
den frühesten Stadien menschlicher Existenz
überlebenswichtig war. Eine gelingende Übersicht
über den aktuellen Sichteindruck ist emotional positiv
besetzt, und das betrifft unter anderem auch die Wirkung von
Kunst auf den Betrachter. Man kann Kunstwerke als Gebilde
ansehen, die so aufbereitet sind, dass sie die
Aufmerksamkeit des Adressaten erregen, ihn dazu
herausfordern, sich mit dem Wahrnehmungsangebot zu
beschäftigen, und schließlich zu gelingenden
Wahrnehmungsprozessen führen. Da sich die Stetigkeit
mit mathematischen Mitteln erfassen lässt, bietet sich
die Methode der Computergrafik als Mittel einer
‚experimentellen Ästhetik‘ an, mit der man
am konkreten Fall Wirkungen von Kunst untersuchen kann. Ich
habe mir das klassische Ornament als Objekt meiner
Experimente ausgesucht und dazu Bildgeneratoren
programmiert, die Überlagerungen stetiger Kurven
hervorbringen. Ein beachtliches Ergebnis ist es, dass eine
Art Äquivalenz zwischen den zum Aufbau der Bilder
verwendeten Elementen und dem aus ihnen aufgebauten Gebilde
bestehen muss, um optimale visuelle Ergebnisse zu erzielen.
Verwendet man als Bildelemente Einheiten hohen
Ordnungsgrades - also solche, deren Aufnahme mühelos
gelingt -, dann kann man das Bild selbst komplizierter
gestalten, was das Wahrnehmungserlebnis intensiviert. Aber
das ist ein anderes Thema.
Einige Bildbeispiele sollen die ästhetische Wirkung von
Bildern zeigen, die aus stetigen Elementen aufgebaut sind.
Das Bild links entstand mit einem von mir programmierten
digitalen Bildgenerator (2011), das Bild in der Mitte
stellte ich 2008 mit einem Bildschirmschoner her, und das
Bild rechts (1973) stammt von meinem Freund Tomislav
Mikulic, dem ich für die Erlaubnis danke, es hier
zeigen zu dürfen. Der Artikel, auf den sich diese Notiz
bezieht, ist im Märzheft 2012 der Zeitschrift
‚Grundlagenstudien aus Kybernetik und
Geisteswissenschaft‘, Paderborn, erschienen.